Für Arbeit und Praktika sind sie Standard: Vorstellungsgespräche. Doch auch an Universitäten und Fachhochschulen sind Auswahlgespräche inzwischen mitunter Teil des Bewerbungsprozesses. Was hat man bei Interviews zu erwarten?
Als Simon Jessens Zug in Tübingen einrollt, ist er angespannt. Aus gutem Grund: Für 15:00 Uhr ist er zum Auswahlgespräch für den Master in General Management an der Universität geladen. Etwa 90 Personen werden begutachtet, 25 Plätze gibt es zu verteilen. Er macht sich auf den Weg zur Universität.
Das auf 30 Minuten angelegte Auswahlgespräch beginnt pünktlich. Simon gegenüber sitzen ein Professor der Fakultät sowie sein wissenschaftlicher Mitarbeiter. „Herr Jessen, schön, dass Sie hier sind!“ Mit der freundlichen Begrüßung legt sich schnell seine Nervosität. Das Bewerbungsgespräch beginnt direkt: „Ich wurde nach den Gründen für meine Bewerbung und meine Entscheidung für meinen Bachelor befragt. Ich sollte vor allem begründen, warum ich mit einem Bachelor in Wiwi und Politik einen Management-Master machen wolle. Fiese Fragen gab es nicht.“ Auch eine Fachfrage wurde gestellt: „Ich musste die Eurokrise und die Haltung der Bundesregierung dazu bewerten.“ Als besonders hart empfang Simon das Gespräch nicht. „Es ging eher um ein gegenseitiges Abtasten. Ich hatte das Gefühl, dass sich hier zwei Seiten beieinander bewerben. Ich an der Universität Tübingen und die Universität Tübingen bei mir.“
Auswahlgespräche gibt es in allen Fachbereichen
Nach Angaben des Hochschulforschungsinstituts HIS aus Hannover musste sich im Wintersemester 2009/10 nur eine Minderheit von etwa 5% persönlich einem Prüfungsgremium stellen. Auswahlgespräche gibt es dabei sowohl an Universitäten als auch an Fachhochschulen. Von den Fächern her ist die Verteilung breit: Von Politik bis Ingenieurwissenschaften, von Medizin bis BWL gibt es in allen Bereichen Studiengänge, die ihre Bewerber zu Auswahlgesprächen laden. Besonders häufig werden Bewerber für künstlerische Studiengänge zu Gesprächen geladen. Klar – denn hier zählen weniger die Schul- und Bachelornoten, sondern künstlerisches Potential.
Warum gibt es nur bei 5% der Hochschulen Interviews? Bewerbungsgespräche stellen für Hochschulen einen hohen Aufwand dar. Professoren und Mitarbeiter verbringen viel Zeit mit Organisation und Auswahl. Oftmals sind Teile der Fakultät für eine Woche mit nichts anderem beschäftigt.
Laut einer Studie des HIS aus dem Jahr 2006 finden Interviews „unter allen Auswahlverfahren bei den Bewerbern die höchste Akzeptanz“. Gelobt wird vor allem die Möglichkeit zur „persönlichen Begegnung“. Professor Carsten Rennhak von der ESB Business School in Reutlingen: „Für uns ist das persönliche Kennenlernen der Bewerber essentiell. Es geht uns ja nicht nur um Leistungsfähigkeit, sondern auch um Motivation, Neugier und soziale Kompetenz. “
Zum Interview gebeten werden nicht alle Bewerber – dies würde organisatorisch den Rahmen für die Hochschulen sprengen. Eine Einladung zum Auswahlgespräch erhalten diejenigen mit den jeweils besten Durchschnittsnoten und den ansprechendsten Bewerbungen – meist werden drei- bis fünfmal so viele Bewerber eingeladen wie Plätze vorhanden sind.
Was passiert an den Auswahltagen?
Hochschulen organisieren ihre Auswahlgespräche meist über mehrere aufeinander folgende Tage. Die Bewerber müssen an einem vorher festgelegten Tag an der Hochschule sein. Manche nennen eine genaue Zeit, andere nur den Tag, so dass Bewerber im schlimmsten Fall morgens an der Hochschule erscheinen und erst am späten Nachmittag befragt werden. Eine Medizinbewerberin an der Universität Greifswald berichtet von ihrem Bewerbungsgespräch: „Ich musste fast vier Stunden auf das Interview warten.“
Die Größe der Auswahlkommission ist unterschiedlich. Waren es bei Simon zwei Personen, saß Fabian Guhl, der sich für die Business School ESCP Europe beworben hatte, nur einem Professor gegenüber. „Das hatte mich schon überrascht.“ An der ESB Business School führen stets drei Personen das Auswahlgespräch: Ein Professor, ein Studierender sowie ein Alumnus oder Firmenvertreter. Doch es geht noch höher: Wer sich für das Europakolleg in Brügge bewirbt, sieht sich zehn Kommissionsmitgliedern gegenüber.
Interviews an Universitäten und Fachhochschulen dauern in der Regel 20 bis 30 Minuten, können aber bis zu 90 Minuten lang sein, wie es an der ESB der Fall ist. Mitunter müssen die Bewerber zusätzliche Tests ablegen. Dabei werden – je nach Hochschule und Studiengang – Intelligenz, mathematische Fähigkeiten und Sprachkenntnisse abgefragt. Diese sind von Hochschule zu Hochschule unterschiedlich. Es kann sich lohnen, aktuelle Studierende um Rat zu fragen. Per Facebook, StudiVZ oder Xing sollte es nicht allzu schwer sein, an entsprechende Kontakte zu kommen.
Bewerber sitzen meist alleine vorm Auswahlkomitee. Doch das halten nicht alle Hochschulen so: An der ESB werden bei den Auswahlgesprächen stets drei Kandidaten gleichzeitig befragt. „Wir wollen eine Diskussion zwischen den Bewerbern sehen“, so Professor Rennhak.
Das Interview – welche Fragen werden gestellt?
So unterschiedlich Auswahlgespräche ablaufen, viele Dinge sind allen gemeinsam. „Fachliche Qualifikation ist unerlässlich. Hinzu kommen Fragen zur Motivation“, so Nicolaus Heinen, der sich als Alumnus im deutschen Auswahlkomitee für das Europakolleg Brügge engagiert – er ist außerdem Mitautor meines Buches Master nach Plan. Beim Europakolleg Brügge handelt es sich um eine Hochschule in Trägerschaft von Europäischer Kommission und Europaparlament, die jährlich 250 Studierende aus ganz Europa in fünf Masterstudiengängen auf Tätigkeiten in EU-Institutionen vorbereitet. Die Studierenden werden von den Mitgliedstaaten der EU entsandt. Heinen arbeitet als Europaanalyst bei der Deutschen Bank.
Lebenslauf und Motivationsschreiben geben das Gespräch in Teilen vor. Wie begründet man seine Entscheidungen in der Vergangenheit? Wo möchte man hin? Diese Fragen sind in der Regel einfach zu beantworten – es sei denn, es ergeben sich logische Lücken im Lebenslauf. „Da haken wir natürlich nach“, so Heinen.
Fachliche Fragen sind bei der Bewerbung zum Bachelor weniger zu erwarten – im Gegensatz zu Masterprogrammen. Nach Heinen Erfahrung scheitern die meisten Bewerber im Auswahlgespräch des Europakellegs an „mangelndem Fachwissen zur europäischen Integration.“
Bei Bachelorbewerbern zählt dagegen weniger das Fachwissen und mehr die Motivation. Professor Rennhak: „Wir wollen diejenigen, deren Herzblut für unsere Hochschule schlägt. Von Abiturienten erwarten wir natürlich keine tieferen Fachkenntnisse, allerdings sollten sie sich mit den Inhalten und der Struktur des Studiums befasst haben. Wir erwarten eine klare Story: Warum will ich unbedingt an die ESB.“ Auch andere Werte zählen: „Soziales Engagement ist an der ESB ein großes Plus.“
Eine Grundaffinität zum Fach sollte es allerdings auch bei Bachelorbewerbern geben: Wer sich an einer Business School bewirbt, sollte durchaus damit rechnen, Fragen zu Angebot und Nachfrage zu beantworten. Ein Beispiel aus einem Bewerbungsgespräch an einer Business School: „Im Bahnhofsshop kostet ein Blumenstrauß 20 Euro. Erklären Sie mir, wie dieser Preis zu Stande kommt.“ Hierbei kann natürlich niemand die genaue Kostenrechnung eines Blumenladens kennen. Vielmehr sollte man logisch herleiten können, wie der Preis zustande kommen könnte: Einerseits durch Kosten (Blumen, Miete, Personal etc) und durch Nachfrage (Konkurrenzsituation, saisonale Effekte etc).
Besondere Angst haben viele Bewerber vor Stressfragen wie „Wie viele Autos werden pro Jahr in Deutschland produziert?“ oder „Warum sind Kanaldeckel rund?“ Diese kommen allerdings nur selten vor. Professor Rennhak: „Stressfragen stellen wir in der Regel nicht, allerdings testen wir schon die kognitiven Fähigkeiten der Bewerber, zum Beispiel durch mathematische Fragen.“ Auch Fangfragen sind selten – „es sei denn, der Bewerber fordert sie durch forsches Auftreten heraus“, so Heinen.
Sollten solche Fragen im Auswahlgespräch kommen, empfiehlt es sich, ruhig zu bleiben. Kaum einer kann aus dem Kopf wissen, wie viele Autos produziert werden. Man kann allerdings mit Annahmen arbeiten. Zum Beispiel könnte man aus der Zeitung wissen, wie viele Autos ein einzelner Hersteller produziert, zum Beispiel VW (2010: 7,2 Millionen). Dann überlegt man, wie viele Autos andere Hersteller vermutlich absetzen. Am Ende könnte man die Summe halbieren, da deutsche Hersteller ja auch im Ausland Fabriken besitzen. Und auch wenn man mit seiner Endzahl vielleicht meilenweit daneben liegt, hat man eine gute Antwort geliefert. Die richtige Antwort für 2010 lautet übrigens: 5,55 Millionen.
Bewerber sollten damit rechnen, dass sie während des Interviews teilweise in Fremdsprachen antworten müssen. An der ESB findet die Vorstellungsrunde zu Beginn in Englisch statt. Und bei der Bewerbung fürs Europakolleg werden laut Heinen alle Sprachen durchgegangen, „die der Bewerber als Sprachkompetenz angegeben hat.“
Die richtige Vorbereitung
Wer eine Einladung zum Auswahlgespräch erhalten hat, sollte sich gut vorbereiten. Folgende Schritte sind sinnvoll:
1. Zeitung lesen
Wer sich für einen grundständigen Studiengang bewirbt, muss keine tieferen Fachkenntnisse mitbringen. Wichtig ist eher, die aktuelle Presse mit Blick auf den Studiengang zu lesen. Besonders eigenen sich Wochenzeitungen, da diese eher langfristige Trends betrachten als das Tagesgeschehen. Wer sich für Medienwissenschaften bewirbt, sollte sich schlau machen, was medienpolitisch gerade diskutiert wird. Wer sich für Medizin bewirbt, sollte eine Meinung dazu haben, wie das Gesundheitssystem reformiert werden kann. Und wer sich für internationale Politik interessiert, muss wissen, was gerade in der EU diskutiert wird. Im Master ist es anders: Hier werden auch gute Fachkenntnisse vorausgesetzt.
2. Sich mit dem angestrebten Studium befassen
Man wird im Auswahlgespräch in jedem Fall nach den Gründen für die Bewerbung an der Universität oder Fachhochschule gefragt werden. Wer dabei zu allgemein bleibt, hat schlechte Karten.
3. Sich vorher informieren
Wer mehr über den konkreten Ablauf der Gespräche wissen möchte, kann aktuelle Studierende an den jeweiligen Hochschulen kontaktieren – entweder über Freunde oder durch eine Suche in sozialen Netzwerken. Bei intensiver Recherche findet man auch immer wieder Erfahrungsberichte im Internet.
4. Vorstellung üben
Vielfach werden Bewerber zu Beginn des Interviewsgebeten, sich kurz vor zu stellen. Wer darauf nicht vorbereitet ist, kommt leicht ins stocken: Es ist gar nicht leicht, ein oder zwei Minuten über sich selbst zu sprechen. Was sollte man sagen? Es geht vor allem darum, die wichtigsten Stationen des Lebenslaufes flüssig und in sich logisch darzustellen und dabei möglichst eine Verbindung zum angestrebten Studium aufzubauen.
5. Nicht zu viele Gedanken auf die Kleiderwahl verschwenden
In Sachen Dresscode gibt es für Bewerber von nicht-wirtschaftlichen Fächern auch an renommierten Hochschulen keinerlei Vorgaben. Normale Alltagskleidung gilt im Auswahlgespräch als akzeptabel. Bewerberinnen sollten allerdings darauf achten, nicht zu freizügig zu erscheinen. Auch Business Schools gehen nach Auskunft von Professor Rennhak von der ESB Business School eher locker mit der Kleiderwahl um: „Ein 18jähriger Abiturient im schwarzen Anzug wirkt eher unnatürlich. Bewerber sollten sich etwas anziehen, in dem sie sich wohlfühlen – als Daumenregel würde ich zu ‚normaler Kleidung plus’ raten, also etwas schicker als normalerweise.“ Wer sich allerdings für einen Businessmaster oder gar für einen MBA bewirbt, sollte zu Anzug oder Kostüm greifen.
6. Authentisch bleiben
Laut Nicolaus Heinen überzeugt man nicht mit markigen Sprüchen: „Zurückhaltung gewinnt. Es zählen Fachwissen, gute Argumente – und im Falle eines Falles auch das ehrliche Eingeständnis, eine Antwort nicht zu wissen.“
Zu- und Absagen
Normalerweise erfährt man einige Wochen nach dem Gespräch, ob es geklappt hat. Fabian, der sich an der ESCP Europe beworben hatte, hatte kein gutes Gefühl: „Das Gespräch lief in meinen Augen nicht allzu gut. Ich war sehr positiv überrascht, als dann die Zusage in der Post lag.“ Doch es geht auch schneller. Das Gespräch an der Universität Tübingen endete für Simon mit einer positiven Überraschung. „Herr Jessen, der Ball liegt bei Ihnen – wir bieten Ihnen einen Studienplatz an.“
Anmerkung: Dieser Artikel ist zuerst hier erschienen – auf der extrem empfehlenswerten Webseite Studis Online, die in allen Fragen rund ums Studium einen Besuch wert ist.
Bild 1 (Auswahlgespräch): Alex Eylar / Flickr.com
Bild 2 (Vögel): etgeek / Flickr.com
Bild 3 (Brügge): Gilderic / Flickr.com
Bild 4 (Roboter): pasukaru76 / Flickr.com
Bild 5 (Schuhe): Joël Evelyñ & François / Flickr.com
Bild 6 (Absage): Caro Wallis / Flickr.com
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